
Mein Herz gleicht der vergessenen Kapelle;
auf dem Altare prahlt ein wilder Mai.
Der Sturm, der übermütige Geselle,
brach längst die kleinen Fenster schon entzweit;
er schleicht herein jetzt bis zur Sakristei
und zerrt dort an der Ministrantenschelle.
Der schrillen Glocke zager Sehnsuchtsschrei
ruft zu der längst entwöhnten Opferstelle
den arg erstaunten fernen Gott herbei.
Da lacht der Wind und hüpft durchs Fenster frei.
Doch der Erzürnte packt des Klanges Welle
und schmettert an den Fliesen sie entzwei.
Und arme Wünsche knien in langer Reih
vorm Tor und betteln an vermooster Schwelle.
Doch längst schon geht kein Beter mehr vorbei.
(Rainer Maria Rilke; Traumgekrönt 1896)
Dieses Gedicht inspiriert mich sehr und ich bin gespannt was ich noch Faszinierendes von Rilke lesen werde. Auf jeden Fall werde ich meine Eindrücke auch auf Papier bringen und hier veröffentlichen.
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